JB DUNCKEL
Album: „H+”
Biography: JB Dunckel
Air-Mitglied Jean-Benoît Dunckel ist zurück und nimmt uns mit seinem neuen Album „H+” auf eine aussergewöhnlich optimistische und futuristische Klang-Odyssee mit. Der Longplayer erscheint gut zehn Jahre nach seinem ersten Soloalbum „Darkel“ (2006) und als Follow-Up zu seiner Kollaboration mit Lou Hayter (als Tomorrow’s World) und dem 2015er-Album „Starwalker“ mit Barði Jóhannsson. Das Coverartwork, das ihn in einer utopischen Landschaft zeigt, stammt von dem französischen Designstudio Akatre. „H+“ steht für ein positiv geladenes Wasserstoff-Ion, auch Proton genannt, es wird aber auch als Symbol für Transhumanismus verwendet.
Nachdem er in der Vergangenheit im Wechsel Solo- (unter dem Alias „Darkel“) und Air-Alben veröffentlichte und sich der Unterschied u.a. in weisser (Air) und dunkler (Darkel) Farbgebung manifestiert hatte („um zu verhindern, dass sie sich in Luft‘ auflösen“), war es nun Jean-Benoît Dunckels Ziel, sein Wesen in seiner Gesamtheit zu präsentieren. „Ich baue auf die Erfahrungen von Air auf und entwickle den Air-Sound nun in einer Solo-Umgebung weiter. Ich entsage nicht der Vergangenheit, im Gegenteil: ich instrumentalisiere sie sogar sehr offen“, erklärte er jüngst. Auch wenn der Erfolg und die Popularität von Air ungebrochen sind (die Band geht regelmässig auf Tour), hat das Duo bereits seit mehr als fünf Jahren keine neue Musik veröffentlicht.
Mit seinen Soundtrack-Arbeiten (Fabrice Goberts „K.O.” 2017, Olivier Babinet „Swagger” und Alanté Kavaïtés „Summer” 2015) unterstrich Dunckel bereits seine gesteigerte Vorliebe für Streicher und Studioimprovisation. Viele der Songs basieren auf ganz simplen Klavier-Melodien, der Gesangsstil ist dabei geschmeidiger und freier als je zuvor. Das jahrelange Live-Singen auf Tour mit Air hat seine Stimme gestärkt, sie ist tiefer in Umfang und Timbre - geblieben ist jedoch die trademarkhafte Androgynität. Die Mischung aus Langlebigkeit und Liebe zur Verwandlung wecken Erinnerungen an David Bowie, und man könnte sich mit Leichtigkeit vorstellen, wie das behagliche Klang-Geblubber, das Dunckel produziert (immer mit den Idealen von „Sex & Space“ im Hinterkopf), in dreitausend Jahren in einer kosmischen Jazzversion zur Aufführung kommt. Unter Zuhilfenahme seiner Lieblings-Synthesizer MS20 und Arp 2600 schraubte er an Bord seines privaten Raumschiffs an den Stücken. Der Welle an Dystopien, die das Ziel haben, alle unsere Hoffnungen und Träume durch den Fleischwolf zu drehen, macht er eine lange Nase, indem er eine Zukunft entwirft, die von einem „romantischen Transhumanismus“ beherrscht ist und in dem „der Mensch niemals altert und die Liebe ewig ist“.
„H+“ beginnt mit dem Track „Hold On“, in dem die Rückkehr der Magie unüberhörbar ist. Die Textzeile „Daddy’s coming home“ taucht wie ein Echo immer wieder auf. „Wenn du dich deprimiert fühlst, hält dich das Gefühl am Leben, jemanden zu wollen – die Aussicht auf Vergnügen“, erklärt er.
Das luftige „Love Machine“ bewegt sich im gleichen Orbit, es sind die Erklärungen eines älteren Mannes, der sich in eine jüngere Frau verliebt hat. Der Song ist das Ergebnis von Sound-Improvisationen mit dem Digital-Konzept-Künstler Jacques Perconte, mit dem Dunckel in den vergangenen Jahren bereits mehrfach mit „Hypersoleils [Hypersuns]” aufgetreten war. In dem Song wird dasselbe Thema in Variationen mit ständig sinkendem Energie-Level immer weiter wiederholt.
Mit „H+“ demonstriert Dunckel seine grosse Liebe zu analogen Klängen und Filtern. „Ich wollte diese Metamorphose ausloten – dass sich die Klangfarbe ändert, selbst wenn die Melodie dieselbe bleibt, um eine spektrale Kontinuität zu bewahren“, erklärt er, sichtlich erfreut, zusammen mit seinem jungen Toningenieur die für diese Aufgabe notwenige Computerhardware in dem Air-eigenen Atlas Studio am Start zu haben, das sich in der Nähe von Buttes Chaumont befindet, einem öffentlichen Park im Nordosten von Paris.
Buttes Chaumont ist eine seltene Oase des Friedens in der urbanen Landschaft von Paris. In dem Stück „The Garden“ wird die Grünanlage als natürlicher Zufluchtsort beschrieben, der für das überleben in der Stadt unerlässlich ist. „Es ist ein Park, der sich musikalisch erschafft. So wie wenn du auf der Bühne bist und eine Blase der Kraft kreierst, in der dich niemand sehen kann und in der du dich von der Musik befreien kannst”, sagt JB Dunckel. Gleichzeitig ist das Album sehr stark von Science Fiction beeinflusst, v.a. von dem Alex Garland-Film „Ex Machina“ aus dem Jahr 2015, in dem hochentwickelte Roboter die Hauptrolle spielen, und ein Mann sich humanoide Freundinnen erschafft.
Das Herz des Albums ist der Song „Transhumanity”, den Jean-Benoît schrieb, nachdem er in der Presse viel über das Thema gelesen hatte und er eine positive Vision der Zukunft vor Augen hatte, in der der Mensch von der Technik errettet wird. „Dieses Album prophezeit, dass es ein anderes System geben wird“, verheisst uns der Künstler mit geheimnisvollem Gesichtsausdruck. „Here come the new men, their life has no end”, singt er, wie um eine neue Spezies an unsterblichen Menschen willkommen zu heissen, die ihre Zeit auf der Erde nutzen wird, um zulernen und zu lieben.
Das Instrumentalstück „Quartz” ist wie eine freudvolle japanisch-beeinflusste Pause, ein Bummel durch die Welt seltener Mineralien, auf einem harmonischen Planeten, der sich völlig im Gleichgewicht befindet. „Slow Down The Wind (Up)” featured die ehemalige New Young Pony Club-Sängerin Lou Hayter, mit der er das Duo Tomorrow’s World gegründet hatte. Bereits damals hatte er gezeigt, dass er wesentlich interessierter daran ist, die Zukunft zu erforschen als in der Vergangenheit zu wühlen. „Es ist ein Beach Boys-artiger Song, mit dem selben modulierten Thema“, erklärt er.
Nachdem nun die Bühne bereitet ist, lädt er den Hörer mit „Space Age” zum Eintritt in die moderne ära ein und zur Teilnahme an jenem „Abenteuer der Menschheit, das im All enden wird“. JB Dunckel bedauert das „Steinzeitdenken”, das immer noch den meisten von uns inne wohnt, und das uns stur an Gewalt und Egoismus festhalten lässt.
„In Between The Two Moons” mit seinen pochenden Synth-Sounds und Tribal-Percussions klingt gleichzeitig improvisiert und beiläufig erotisch. „Show Your Love“ ist ein Aufruf, seine Liebe besser – und öfters – zum Ausdruck zu bringen. „Es ist ein Song zur Entspannung, der dir sagt: zeige und sage, was dir auf dem Herzen liegt – express yourself“, sagt Jean-Benoît.
Mit „Ballad Non Sense” endet die Reise schliesslich, mit Klängen, die die Atmosphäre des gesamten Albums auf den Punkt bringen. Der Gesang stammt von Guillenette Foucard. „Es ist der Sound eines Twin Peaks der Zukunft“, eine Mischung aus analogen Synthesizern, digitalen Effekten und Violinen, die Raum für Soli lässt und eine Stimmung des Loslassens und des Betrachtens des grossen Ganzen kreiert.
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